Techniken der Stereomikrofonierung

Dieser Artikel ergänzt die Bedienungsanleitung unserer App Stereo Mic Positionsrechner

Musik wird heute mindestens im Stereo-Verfahren aufgenommen, um die Ausdehnung der Instrumente im Raum gut abzubilden. Dadurch wird die Musik für den Zuhörer transparenter und „besser zu hören“. 

Ein räumlicher Klangeindruck entsteht, wenn der Schall die Ohren des Zuhörers zu unterschiedlichen Zeitpunkten erreicht, und in unterschliedlicher Lautstärke. Außerdem bedämpft der Kopf des Zuhörers manche Frequenzen, bevor der Schall das der Quelle abgewandte Ohr erreichen.

In der Popmusik üblich ist eine sehr nahe Mikrofonierung aller Instrumente. Die räumliche Verteilung findet dann im Mischpult mit Hilfe des Panorama-Reglers statt. Allerdings berücksichtigt dieses Verfahren nur den Pegel- und nicht den Laufzeitunterschied des Schalls. Die Räumlichkeit wirkt künstlich — etwa so, als würde man die Musik durch mehrere Löcher in einer Wand hören. (Zum Vergleich: Eine Mono-Aufnahme klingt, als würde man die Musik durch ein einziges Loch in der Wand hören.)

Besser ist es, die Räumlichkeit mit zwei Mikrofonen einzufangen, deren Signal dann auf den rechten und linken Stereokanal gelangt. Je nach gewünschtem klanglichen Effekt verwendet man i. d. R. eine der drei im folgenden beschriebenen Mikrofonaufbauten.

Vorüberlegung

Wir möchten das Ensemble (den Chor, das Orchester, die Band usw.) in der gesamten Breite des Stereobildes abbilden. Dazu müssen wir den Abbildungswinkel unseres Mikrofonsystems berücksichtigen. Wird dieser zu groß gewählt, bildet das Ensemble auf der Aufnahme einen „Pulk“ in der Stereomitte. Wählen wir ihn zu klein, drängen die Instrumente nach außen, Richtung Boxen (siehe Skizze). Beides wollen wir vermeiden.

Leider ist die Mikrofonaufstellung, mit der man einen bestimmten Abbildungswinkel erreicht, nicht gut schätzbar. Dazu sind komplexe geometrische Berechnungen notwendig. Der Winkel errechnet sich aus der Breite des Ensembles (in der Draufsicht) und dem Abstand zur Front (also der Flucht der vorderen Instrumente). Das Ganze spannt ein Dreieck auf, für das neben stehende Formel gilt. 

Erfreulicherweise gibt es zur Berechnung dieser Dinge eine Software: Meine iPhone-App Stereo Mic Positionsrechner.

 Im folgenden werden die drei wichtigsten Stereo-Mikrophonierungen im einzelnen erläutert:

Laufzeit-Stereophonie (AB-Verfahren)

Zwei Mikrofone in Kugelcharakteristik werden in einem bestimmten Abstand nebeneinander rampenparallel vor das Ensemble gestellt. 

Je nach Art der Schallquelle erreicht man auch mit Werten unter 1,5 ms schon gute Ergebnisse. In den Voreinstellungen der iPhone App Stereo Mic Pos kann man diesen Wert, die „Verzögerung für unilaterale Ortung“ (oder kürzer „AB-Latenz“) anpassen.

Aus dem Abstand der Mikrofone ergibt sich eine Laufzeitdifferenz seitlich einfallenden Schalls. Empirisch hat man herausgefunden, dass eine Laufzeitverzögerung von 1,5 ms als „ganz rechts“ bzw. „ganz links“ wahrgenommen wird. 

Praxisbeispiel

Ein Chor sei 5 m breit aufgestellt. Das Mikrofonsystem befinde sich 3 m vom Chor entfernt. Stereo Mic Pos errechnet einen Abstand der Mikrofonbasis von 79,9 cm.

Grafik: Stereo Mic Positionsrechner

An der Grafik sieht man, dass es sinnvoll ist, das Ensemble im Halbkreis aufzustellen, so dass das Mikrofonsystem den Kreismittelpunkt bildet. Dadurch sind alle Instrumente gleich weit vom Mikrofon entfernt.

Wirkung

Da die Richtung des Schalleinfalls auf das einzelne Mikro keine Rolle spielt, kann man Mikrofone in Kugelcharakteristik verwenden. Diese leiden nicht unter dem von „Nieren“ bekannten Nahbesprechungseffekt, übertragen also auch tiefe Frequenzen gleichmäßig und sauber. Durch die Kugelcharakteristik wird die Raumakustik deutlich mit eingefangen, was je nach Situation ein Vo- oder Nachteil sein kann. Die Abbildung klingt angenehm räumlich, die Ortung einzelner Instrumente ist allerdings etwas verwaschen.

Vorsicht: Durch die Laufzeitunterschiede kann es zu Phaseneffekten kommen. Man muss das Signal unbedingt auf seine Monokompatibilität prüfen. 

Intensitäts-Stereofonie (XY-Verfahren)

Zwei Mikrofone in Nierencharakteristik werden in einem bestimmten Winkel aufgestellt, so dass die Mittelpunkte der Membranen genau übereinander liegen. Dadurch erreicht der Schall beide Mikrofone zum gleichen Zeitpunkt — die Phasenprobleme des AB-Verfahrens bleiben aus. Die Ortung erfolgt alleine dadurch, dass die Mikrofone den Schall aufgrund ihrer Richtcharakteristik aus verschiedenen Richtungen unterschiedlich stark aufnehmen.

Praxisbeispiel

Für das oben erwähnte Szenario errechnet Stereo Mic Pos einen Basiswinkel (= Winkel zwischen den Mikrofonen) von 138,9°.

Grafik: Stereo Mic Positionsrechner

Beachtenswert ist dabei, dass der Basiswinkel des Mikrofonsystems nicht dem Abbildungswinkel der Anordnung entspricht. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Werte, die zudem gegensinnig verlaufen: Wird der Basiswinkel kleiner, so wird der Abbildungswinkel größer. (Bei ca. 120° sind sie „zufällig“ gleich.)

Wirkung

Naturgemäß keine Probleme mit der Phasenlage. Die Ortung einzelner Instrumente ist sehr gut, dadurch „verschmilzt“ der Klang nicht so sehr, was ein Nachteil sein kann. Die Räumlichkeit ist weniger natürlich.

Äquivalenz-Stereofonie (ORTF-Verfahren)

Dieses Verfahren vereinigt das „Beste beider Welten“ obiger Verfahren. Die Mikrofone (Nieren) stehen in einem geringen Abstand und einem vorgegebenden Basiswinkel. Verschiedene Versionen dieses Systems wurden u. a. von europäischen Rundfunkanstalten entwickelt. Das populärste ist das ORTF (entwickelt vom französischen Staatsrundfunk „Office de Radiodiffusion Télévision Française“) mit einer Mikrofonbasis von 17cm und einem Basiswinkel von 110°.

Praxisbeispiel

Für eine Ensemblebreite von 5 m errechnet unsere App eine Mikrofondistanz von 2,24 m. Da der Abbildungswinkel nicht variabel ist, kann die Distanz des Systems nicht frei gewählt werden, sondern ist eine Funktion der Breite des Ensembles.

Grafik: Stereo Mic Positionsrechner

Wirkung

Das ORTF-Verfahren erreicht eine bessere Räumlichkeit als XY, aber eine bessere Ortung als AB. Es ist für viele Situationen zu empfehlen. 

Allerdings hat das Verfahren einen Nachteil: Bei den anderen beiden Verfahren lässt sich durch geschickte Wahl der Distanz zum Ensemble das Verhältnis von Direktschall und Nachhall regulieren. Diese Möglichkeit fällt beim ORTF-Verfahren weg, da die Distanz nicht frei wählbar ist.


Weiterführende Informationsquellen